3
Views

[dropcap]V[/dropcap]iele von Euch werden Aufbau West sicher nur durch die gemeinsamen Tourtermine und den Song mit Jennifer Rostock kennen. Nach ihrem Album im Jahr 2014 erschien kürzlich endlich ihre neue EP, die ich mir nun einmal genauer angehört habe.

Pressefoto

Ende 2015 spielen Aufbau West ihren offiziell letzten Gig in klassischer Viererbesetzung am Mariengymnasium in Warendorf. Während sich Andere nun einfach einen neuen Bassisten suchen würden, geht die Band einen eher unkonventionellen Weg. Sie nimmt sich die nötige Zeit und tüftelt gemeinsam an einem neuen Sound ganz ohne Saiten.

Mehr als eintausend Tage nach Veröffentlichung des Albums „Zweitbester“ ist es endlich soweit. Die neue EP mit dem klangvollen Namen „Die Märchen der Gebrüder Grimmig“ erblickt das Licht der Welt. Wie viel die neue Platte wirklich kann, das erfahrt Ihr in dieser Rezension.

Fakten: Aufbau West – Die Märchen der Gebrüder Grimmig

 Die Märchen der Gebrüder Grimmig Aufbau West
Name Die Märchen der Gebrüder Grimmig von Aufbau West
Erschienen am 08. September 2017 via recordJet
Musikstil synthielastiger deutschsprachiger Indie/Hip Hop
Weitere Infos Facebook | Webseite | Instagram | YouTube
zu erwerben via Amazon*, iTunes und Co.

Innere Werte: Aufbau West – Die Märchen der Gebrüder Grimmig

Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz, das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.

Wer im richtigen Bundesland zur Schule gegangen oder aber einfach im Allgemeinen ein bisschen belesen ist, dem sollten diese Zeilen nur allzu bekannt vorkommen. Es sind weltberühmte Worte des unheimlichen Mephistoteles‘ aus Goethes „Faust“ I, die die EP von Aufbau West einleiten. Und wer die bisherigen Tracks der Band so kennt, der weiß, dass diese Einleitung zu den gefühlten Dauernörglern aus Geseke passt. Quasi wie die Faust aufs Auge…

Auf dieses Intro folgt dann auch der gleichnamige Track und mein erstes großes Highlight der EP. Dieser Song strotzt einfach nur vor Wahrheit, geschildert aus der Ich-Perspektive einer Depression:

Es tut mir leid, wenn’s nicht so scheint,
doch ich bin viel zu stark für dich allein.
Ich reiß‘ die Mauern in dir ein
und in den Trümmern werd‘ ich sicher sein,
weil ich mich niemand And’rem zeig‘.

Würde man nur die erste Zeile „Hallo, mein Name Depression“ aus dem Song streichen, so könne es sich hier auch um eine ziemlich detaillierte Beschreibung einer toxischen Beziehung handeln.

Weiter geht’s mit „Die Märchen der Gebrüder Grimmig“, einem ungewohnt politischen Song. Hier positioniert sich die Band klar gegen den durch AfD und Konsorten wieder gesellschaftsfähig gewordenen Fremdenhass. Passend dazu erschien kürzlich ein eindrucksvolles Video der Band, welches am Rande einer PEGIDA-Demonstration in Dresden entstand. Gänsehaut pur, aber nicht im gut gemeinten Sinne. Der Track endet, passend zum Intro der EP, mit einem weiteren Goethe-Zitat, dieses Mal von Faust selbst: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“ 

Mit „Wie der Trinker den Rausch“ wird dann doch mal wieder etwas persönlicher. Der Song handelt meiner Interpretation nach von der mindestens einseitigen Anziehung zweier völlig verschiedener Menschen. Als besonders spannend empfinde ich hierbei das Bild des Trinkers: Er ist süchtig nach dem Rausch, obwohl er sich mit Sicherheit auch darüber bewusst ist, dass dieser ihm alles andere als gut tut. Und genau so verhält es sich auch mit dem Protagonisten, der trotz all der Unterschiede süchtig nach dieser einen Person ist und sie sich einfach magnetisch anzuziehen scheinen.
Text und Sound sind in sich stimmig, zumindest kann ich bereits von mir behaupten, dass ich dem elektronischen Rausch dieses Songs verfallen bin, obwohl er nun wirklich nicht nur Gutes beinhaltet.

Der „Neurosenkavalier“ verschanzt sich in seiner eigenen kleinen Welt und sucht dort Schutz vor der Menschheit. Bazillen, Viren, Menschen am Abgrund, Häuserblock in Flammen. Dieser Song hat einen gewissen „Wir gegen den Rest der Welt“-Charakter. Und obwohl mir der Refrain textlich irgendwie zu viel des Guten ist, liebe ich den Track zugleich für seinen tollen elektronischen Club-Klang, abgerundet durch die sich aufbauenden Bläser gegen Ende. Ist wohl alles doch etwas ernster bei mir mit dem eben noch besungenen Rausch…

Rein musikalisch gesehen klingen Aufbau West mit dieser Platte erwartungsgemäß deutlich synthielastiger als zuvor und erinnern an der einen oder anderen Stelle stark an die neuseeländische Künstlerin Lorde. Normalerweise halte ich den Einsatz von Blasinstrumenten (oder deren Samples) in Verbindung mit neumodischer Musik eher für problematisch, auf dieser Platte wurde jedoch ein gutes Gespür für den pointierten Einsatz dieser bewiesen.

Fazit: Aufbau West – Die Märchen der Gebrüder Grimmig

Aufbau West wagen mit „Die Märchen der Gebrüder Grimmig“ endlich den Schritt vom Bad in Selbstmitleid und dem Nörgeln über andere Lebensweisen hin zu den wirklichen Problemen der Gesellschaft. Sie finden klarere Worte als zuvor und beziehen politische Stellung, verpackt in tanzbare überwiegend elektronische Musik. Die komplette EP geht gut ins Ohr und bleibt auch ganz schön lange da drin. Chapeau!

Anspieltipps: Faust, Die Märchen der Gebrüder Grimmig, Wie der Trinker den Rausch

Aufbau West auf Tour

Wie es der Zufall so will, sind Aufbau West gerade sogar unterwegs. Am 20. Oktober 2017 spielen sie im Druckluft in Oberhausen, am 21. Oktober im Glad House Cottbus. Für das Jahr 2018 stehen bereits Termine für den 16. Februar 2018 im K19 in Kassel, den 17. Februar im Jugendzentrum B58 in Braunschweig und den 18. Februar 2018 im Goldenen Salon im Hafenklang in Hamburg an.

Article Tags:
Article Categories:
Alles