[dropcap]A[/dropcap]n einem meiner ersten Abende meines zweimonatigen Berlin-Aufenthalts bin ich mitten in Friedrichshain immer wieder an Plakaten de ufAir Open Air Festivals vorbeigelaufen. Zwei Namen im Lineup weckten meine Neugier und so fuhr ich für dieses schnuckelige Festival zur ufaFabrik nach Berlin-Tempelhof.
Seit acht Monaten mal wieder in der Hauptstadt und selbst davor noch nie groß in Tempelhof umher gewesen. Das kann ja ein Spaß werden. Hoffentlich finde ich den Weg. Man weiß ja nie… doch zum Glück weisen die Veranstalter auf Facebook deutlich sichtbar auf die passende U-Bahn-Station hin. Die ahnen also schon, dass ich mich sonst im großen Berlin verirren könnte. Gute Menschen!
Die U-Bahnstation Ullsteinstraße erreicht, vernehme ich die typischen Geräusche eines Soundchecks und finde heraus, dass ich die Unterführung nutzen muss, um an das andere Ende der Straßenseite zu gelangen. Von da aus sind es nur noch ein paar Meter, ehe ich die Kulturfabrik entdecke. Vorbei an einigen Sitzgarnituren stoße ich auf ein Schildchen, das auf den Festivaleinlass hindeutet und so finde ich mich an einer kleinen Kasse wieder.
Zack – Ticket eingesackt – Stempelchen abgeholt und kurz irritiert. Bin ich jetzt in einem Theater? Ich bin dafür doch viel zu legere angezogen…
Das Gefühl bleibt, als ich durch einen schicken Barbereich nach draußen gelange. Dort erblicke ich Menschen an Stehtischen und sitzend auf einer Treppe. Würde ich nicht die Bühne samt überdachtem Zuschauerbereich sehen, ich zweifelte an der Veranstaltung. Manche Menschen scheinen mir auch für’s Erste viel zu schick gekleidet. Ich fühle mich etwas fehl am Platz und lasse mich am Rande nieder, um die Situation weiter zu beobachten.
Beim obligatorischen Rundumblick fallen mir drei Kameras auf. Und Alex. Alex ist wohl einer der Kameramänner. Hi Alex!
Ein Typ im gestreiften Shirt betritt die Bühne. Ich glaube, das ist Fridolin, welcher die Zusage gab, heute hier sein zu dürfen. Er heißt alle herzlich willkommen und bittet darum, etwas näher zu kommen. Außerdem soll es später noch voller werden, meint er hoffnungsvoll.
Es ist Zeit für Musik. Louise Gold. Wozu braucht man schon die schönen Stiefeletten, wenn es sich ohne viel besser spielen und singen lässt? Louise steht da mit ihrer Akustikgitarre, aus ihr spricht die musikalische Erfahrung. Sie wird von eher schlichter Bandbesetzung begleitet. Nur der Kontrabass sticht ins Auge. Musikalisch gesehen liegt der Hauch eines etwas lockereren Galaabends in der Luft. Und ich finde, genau da gehört Louise hin. Zwar gibt es hier und da ein paar Ausbrüche ins fast Ungezähmte, aber für mich zeigt sich genau eins: Das, was Louise da macht, ist Kunst und das rechne ich ihr hoch an. Da ist es dann auch zweitrangig, dass ich mir eine solche Art von Musik nicht ständig anhören könnte.
Die Pause verbringe ich wieder gemütlich an der Seite. Ich beobachte Menschen und stelle fest – auch der Kabelträger und die Kamerafrau heißen Alex. ALEX TV überträgt das Festival live im Internet. So viel also zu meiner tollen Theorie, auf den Shirts wären Namen vermerkt. Doof.
Ich sehe Kinder mit Gehörschutz, erblicke einen Hund und Leute, die ein halbes Picknick abzuhalten scheinen. Eine neue Assoziation kommt auf. Die Beobachtungen, das Grün drumherum und der Boden lassen den Eindruck entstehen, ich säße mit Schuhen in einem Schwimmbad. Zu gut, dass man hier trotz kurzer Regenschauer aber definitiv nicht davonschwimmen kann.
Es ist Zeit für ABAY. Ich habe das Gefühl, es wäre nun schon ein wenig mehr los. Ob das am Ex-Frontmann von Blackmail liegt? Er weiß mit seiner Stimme zu überzeugen und obwohl ich Placebo bis dahin ganz schrecklich fand, erinnert mich diese Band an eine so viel schönere Version davon. Nach und nach verwandelt sich die Bühne in einen Aschenbecher.
Die wohl süßeste Szene des Auftritts ereignet sich, als eine Mutter mit ihrer nahezu winzigen Tochter glücklich vor der Bühne tanzt und Aydo Abay plötzlich fragt, ob er das Baby einmal halten könne. Dabei strahlt er bis über beide Ohren.
Liest du noch oder likest du schon?
Nach einer minimalen Pause geht es weiter mit Manual Kant. Ich muss zugeben, dass davor irgendwie am meisten Angst gehegt hatte. Ich hörte sie das erste Mal im Jahr 2012, als sie für on3 zum New Music Award antraten. Dort gehörten sie noch zu meinen drei Favoriten. Einige Jahre später jedoch dachte ich, nichts mehr mit ihrem Sound anfangen zu können. Nun so live finde ich die Jungs aber doch wieder ganz gut. Nur der Drummer macht mir ein wenig Angst. Wie der so oberkörperfrei da sitzt und ganz schön übermotiviert wirkt, schiebe ich Panik, er werfe irgendwann einen Stick nach mir.
Die nächste Band heißt 1000 GRAM. Schon während der Ansage schnappe ich eine Information auf, die seitdem stetig in meinem Kopf spukt. Der Bandname wird schwedisch ausgesprochen – Tusen gram. Tüssen gram. Jetzt sage keiner, auf Konzerten lernt man nichts! Man lernt sogar Schwedisch!
Sie fordern uns auf, weiter nach vorn zu kommen und feiern besonders zwei junge Frauen für ihren Mut. Dabei sieht die Band nun echt nicht danach aus, als könnte sie je einer Fliege etwas zuleide tun. Im Gegenteil, eigentlich wirken sie wie die Bilderbuchhipster und Traumschwiegersöhne frisch aus Berlin Prenzlauer Berg. Und ehrlich – diese Formulierung klingt jetzt negativer als sie gemeint war. Der Stil steht ihnen, wirkt nicht so gestellt wie bei manch anderem. Und die Musik beeindruckt mich so sehr, dass ich sie Tage später noch immer rauf und runter höre. 1000 GRAM haben kein neues Genre erfunden, sind aber in dem, was sie machen, wirklich gut und authentisch. Irgendwie Indie, ein wenig Rock, viel Pop. Sie erinnern mich stark an The Munitors aus der Nähe von Frankfurt am Main, welche ich vor wenigen Minuten soundtechnisch sehr lieb gewonnen habe.
Eine Zeile bleibt mir besonders im Kopf und will da auch partout nicht mehr wieder hinaus – „We really need to see the sea“.
Wir schreiben mittlerweile irgendwas nach 20 und vor 21 Uhr. Der Zeitplan ist schon längst etwas verschoben, doch das macht niemandem etwas aus. Es scheint mir wieder voller zu werden, was ich als klaren Indikator dafür sehe, dass der Headliner Vierkanttretlager Publikumsmagnet des Abends ist. Betrachtet man nun das, was in den nächsten Minuten passiert, dann wird einem auch klar, wieso. Sie liefern eine Show ab wie ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Dabei schwankt besonders der komplett in Rot gekleidete Frontmann Max in einem Drahtseilakt zwischen Genie und Wahnsinn über die Bühne. Er weiß sich zu inszenieren. Ob „Krieg&Krieg“, „Fotoalbum“, „Hooligans“ oder „Der letzte Satz der Welt“ – diese Band zieht mich wie vor einigen Jahren schon von Anfang bis Ende in ihren Bann, selbst noch als mir widersprochen wird, weil ich etwa bei der Ankündigung von „Kaktusblüte“ gegen die Liebe jubel. Wenn Max nicht gerade theaterreif agiert, tut die Lichtshow ihr Bestes, damit man sich so fühlt, als durchlebe man gerade einen total verrückten Drogentrip.
Eine Sache muss ich der Band nun gestehen. Erinnert Ihr Euch an den Bundesvision Song Contest? Vierkanttretlager mit „Fotoalbum“ in der Shanty Version? Dreimal dürft Ihr raten, wer dafür gesorgt hat, dass Elton Sänger Max knuddelt… War mir peinlich, aber irgendwie erinnere ich mich trotzdem gern daran zurück.
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